22. Juni 2066, San Pedro Manrique, Spanien

23:28 Uhr. In einer halben Stunde war es so weit. Zum zweiten Mal kontrollierte sie die Smartwatch an ihrem Handgelenk. Der digitale Sekundenzeiger glitt lautlos und beständig über die Anzeige. Hunderte Glühwürmchen flogen durch die Dunkelheit und glitzerten in der Luft. Enea schaute sich um und blickte in gespannte Gesichter.

Wie jedes Jahr zur Sommersonnwende hatten sich in dem spanischen Dorf San Pedro Manrique alle 600 Einwohner und mehr als doppelt so viele Schaulustige im Amphitheater der Gemeinde versammelt. Die Johannisnacht vom 22. auf den 23. Juni markierte nicht nur den astronomischen Sommerbeginn, sie war eine heilige Nacht im Kalender der Spanier. Mit einem ritualisierten Feuerlauf hatten sich die Manriquer weltweit einen Namen gemacht.

Um Mitternacht würden die ersten mutigen Läufer barfuß einen circa acht Meter langen Teppich glühender Kohlen beschreiten. Ein Ritual, das neben Freunden, Familie und Verwandten Zuschauer aus der ganzen Welt anlockte. Die zweiwöchige Fiesta war schon am Nachmittag mit einer Prozession gestartet, die durch die gesamte Ortschaft führte. Mit einer selbst gebauten Petrus-Skulptur waren die Dorfbewohner von der Marienkirche im Nordosten des Dorfes hinunter zur Kapelle im Südteil gewandert. Nie hatte Enea eine so verheißungsvolle Stimmung erlebt.